Gastbeitrag von Lewis Wellbrock, ebenfalls erschienen im Magazin von festival-community.net.
Das Appletree Garden 2023 stand unter keinem guten Stern. Die bestenfalls mittelmäßigen Wettervorhersagen und das Anreisechaos beim Wacken schmälerten die Vorfreude doch merklich. Noch Donnerstagfrüh zweifelten wir arg an der Sinnhaftigkeit des Ganzen, als es im wenige Kilometer entfernten Osnabrück noch wie aus Eimern schüttete. Wer hätte gedacht, dass wir gute zwei Stunden später die ersten Zelte auf einem grünen, beinahe komplett trockenen Campingplatz aufbauen würden? Und das bei Sonnenschein?
Dass das so funktionieren konnte, lag ganz besonders an der super Organisation der Veranstaltung. Im Vorfeld wurde so gut es ging darauf verzichtet, den Zeltplatz mit Autos zu befahren, weshalb es nur auf den Wegen hin und wieder matschig wurde. Dazu wurde der Parkplatz kurzerhand auf den Diepholzer Marktplatz verlegt, während der Famila-Parkplatz in Geländenähe als Park+Ride fungierte. Da zeigte sich erneut: Beim Appletree packen Veranstalter, die Stadt, die Bevölkerung, die lokalen Unternehmen und der Wettergott mit an. Ohne dieses Mindset wäre das Festival vielleicht etwas enttäuschend ausgegangen, so wurde es wie immer ein rundum gelungenes Wochenende.
Denn auch sonst funktionierte fast alles einwandfrei. Wie immer ermöglichte die Jan-Spieker-Bahn morgendliche Ausflüge in den Ort, um im Schwimmbad (welches übrigens entgegen anderslautender Gerüchte nicht schließen soll) mit einem guten Frühstück, erfrischendem Badespaß und sauberen Sanitäranlagen in den Tag zu starten und anschließend bei einigen Kaltgetränken die Minigolfbahn unsicher zu machen. Zurück auf dem Gelände konnte man ohne große Probleme an Getränke und Essen kommen, während besorgniserregende Wolkenfronten ein ums andere Mal knapp an uns vorbeizogen. Es lief alles wie geschmiert, weshalb man sich ganz sorgenfrei dem Wichtigsten widmen konnte – der Musik.Schon die ersten Konzerte des Festivals legten die Messlatte für die kommenden Tage enorm hoch, wie etwa die deutsche Hip-Hop-Newcomerin Fuffifufzich. Ihre poppigen Melodien lieferten etliche Ohrwürmer, was vom Publikum frenetisch gefeiert wurde. Insbesondere die Zeilen „Hallo 110, ist da die Po-Polizei? // Ich möchte Anzeige erstatten // Wegen Heartbreakerei“ bohrten sich in die tiefsten Tiefen des Gehirns und kamen immer mal wieder hervor. Bestens gelaunt ging es daraufhin zu Blush Always, deren Musik zwar von klassischeren Indie-Gitarren geprägt war, aber mindestens genauso hitverdächtig daherkam.
Während Acts wie Blond und Bilderbuch das Publikum zum Tanzen und Feiern brachten, legten einige von uns eine kurze Erholungspause ein, da unsere persönlichen Tageshighlights noch folgen sollten. So fanden wir uns wieder pünktlich im Spiegelzelt ein, um den lieben Porridge Radio zu lauschen. Klasse Indiemusik, die besonders von der Stimme Dana Margolins und den verdammt eingängigen Melodien lebt. In Verbindung mit der idyllischen Location mauserte sich der Auftritt der Brit*innen zu einem unser Festivalhighlights. Und wo wir gerade bei Festivalhighlights sind: Mit einem solchen ging es nahtlos weiter. Nu Genea! Erwartet tanzbar ließen sie keine ihrer Italo-Funk-Hits aus, während die an Rhythmische Sportgymnastik erinnernde Bühnen-Performance die Menge in ihren Bann zog. Fantastisch!
Die beiden anderen Festivaltage liefen recht ähnlich ab: Morgens in der Früh die erste Jan-Spieker-Bahn vom Famila-Parkplatz in Richtung Schwimmbad genommen, den sich anbahnenden Kater mit Kaffee, einem ausgiebigen (Ouzo-)Frühstück und einem Bad abgewandt und fit wie ein Turnschuh die Minigolfanlage besetzt. Beseelt ging es dann zurück zum Festivalgelände, spielten doch an beiden Tagen noch etliche tolle Künstler*innen, die man nicht verpassen durfte.
So beispielsweise Burnout Ostwest am Samstagnachmittag, nach Team Scheisse im letzten Jahr die nächste Bremer Punkband, die das Publikum überzeugte. Klassische Punk-Sounds, sowohl live als auch vom Band, mit Synthie-Unterstützung und gewitzten Texten waren der perfekte Startschuss für das Festivalbergfest. Daran schlossen sich weitere Highlights an: Die gehypten Zimmer90 brachten bei bestem Wetter mit ihrem Indiepop die Leute vor der Hauptbühne zum Tanzen. Noch etwas toller war der Auftritt von Nation Of Language, deren 80s-Synth-Indie sich auf der Waldbühne fantastisch entfaltete, was den abgesagten Auftritt vom letzten Jahr vergessen machte.
Das Tageshighlight war jedoch Dan Deacon. Selten hat ein Auftritt auf dem Appletree uns so umgehauen. Der Entertainer wurde von einem Drummer unterstützt und bot neben Tanz-Battles und ähnlichen Einlagen ein unfassbares Set seiner elektronischen Indie-Hits. Was auf Platte vielleicht nicht sonderlich eingängig und eher chaotisch wirkt, war im Spiegelzelt wunder- und tanzbar, sorgte für Gänsehaut und feuchte Augen. Furchtbare Voraussetzungen für den folgenden Auftritt von Bombay Bicycle Club, die wie Betterov zuvor zwar durchaus nett waren, aber auf Konzertlänge dann doch eher enttäuschten. Egal! Dan Deacon war nicht mehr zu toppen.
Dieses Glücksgefühl hielt am Samstag an, auch wenn mit Billy Nomates eines unserer Highlights leider absagen musste. Während Luisa Neubauer am Nachmittag eine riesige Menschenmenge ins Tiefe Holz lockte, stand für einige von uns ein verlängerter Tag im Ort an, schließlich musste sich dort umfassend verabschiedet werden. Dennoch gab es wieder tolle Konzerte, ganz besonders das von Caroline Rose. Während des Gigs traf uns die größte Regenfront des Wochenendes ganz unvermittelt, was das Erlebnis jedoch nur noch schöner machte. Ihre wunderbar tanzbaren Indie-Hits wurden nur einmal durch einen Stromausfall unterbrochen, wovon sich Rose jedoch nicht aufhalten ließ – schließlich gäbe es schlimmere Orte, um bei einem Liveauftritt zu sterben.
In trockenen Klamotten ging es später zu unserem persönlichen Samstagsheadliner: Crucchi Gang. Der charismatischste Mensch der Welt, Francesco Wilking, führte durch den Abend voller deutscher (Indie-)Klassiker, verpackt in neuem, italienischem Gewand. Spätestens bei „Solo una Parola“, einem wunderschönen Cover des Wir-Sind-Helden-Klassikers „Nur ein Wort“, dürfte das gesamte Publikum verliebt gewesen sein. Nach einem letzten Snack auf dem Gelände hörten wir uns die Antilopen Gang und Von Wegen Lisbeth noch vom Campingplatz aus an, um dann erschöpft aber überglücklich ins Zelt zu fallen. Nun, drei Wochen später, zehren wir immer noch von eben jenen Glückshormonen und Erinnerungen an ein tolles Wochenende – und freuen uns auf 2024.