Ist da jemand? Bei meinem Besuch in Zentral-Guatemala wird mir bewusst, wie spärlich besiedelt dieses Land ist. Interessanterweise befindet sich gerade in diesem Niemandsland eine der beliebtesten Sehenswürdigkeiten der Region.
Genug der Tiefenentspannung! Das Motorboot braust von Belize geradewegs über die Grenze. Ziel ist Livingston, ein kleiner Ort an der Ostküste von Guatemala. Hier dominiert noch die karibische Garifuna-Kultur. Das heißt: Abhängen, qualmen, Dreadlocks flechten. Und wie in Belize spricht man auch hier noch vordergründig kreol , eine wilde Mischung aus mehreren Sprachen, mit starkem englischem Einschlag. So komme ich mir bei der Ankunft eher wie in Jamaica als in einem zentralamerikanischen Land vor.
Livingston ist das Tor vom Rio Dulce – ein Fluss, der sich bis ins Landesinnere mitten durch den mächtigen Dschungel schlängelt. Damals noch berühmt-berüchtigte Anlaufstelle für Piraten aus der Karibik, ist der Fluss mittlerweile eine der aufregendsten Attraktionen für viele Reisende. Kein Wunder: Die Vegetation entlang des Flussufers überragt mit Leichtigkeit alles dort von Menschenhand erschaffene.
Lange verweile ich nicht am Rio Dulce, denn mein eigentliches Ziel ist die Stadt Lanquin. Das Dorf liegt tief im Zentrum von Guatemala und wäre nur für die wenigsten Reisenden die lange Anfahrt von über 8 Stunden (aus allen Himmelsrichtungen!) wert – wäre da nicht das nahe gelegene Naturschutzgebiet Semuc Champey, von dem jeder Guatemala-Besucher schwärmt.
Diese Kalksteinterrassen ziehen scharenweise Touristen aus aller Welt an und gehören zu den bedeutendsten Sehenswürdigkeiten des Landes. Die außergewöhnliche Lage ist sicherlich ein Hauptgrund dafür: Wie ein geheimer Garten Eden liegen die Wasserbecken umringt von üppigstem Grün mitten im Dschungel versteckt.
Zunächst gilt es jedoch, die holprige Hinfahrt im Kleinbus zu überstehen. Straßen oder gar Städte habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Links und rechts der Sandpiste dominiert die Natur. Nur ab und an kommen wir an winzigen Siedlungen vorbei.
Bald schon bekomme ich nicht mehr viel von der atemberaubenden Dschungelumgebung mit, da die Sonne hinter den Bergen verschwindet die Natur im Nu von der Dunkelheit vereinnahmt wird. Das Gefährt schiebt sich mittlerweile mit rund 15 Stundenkilometern über den schlammigen Weg, während weit entfernt Blitze aufzucken, die nur kurz die Silhoutten der umgebenden Landschaft zu erkennen geben.
Glücklicherweise komme ich in Lanquin an, bevor ein mächtiger Tropensturm über die Gegend fegt. Die Bambushütten meines Hostels halten einiges aus, obwohl es sich manchmal so anhört, als ob das gesamte Dach abheben würde. Am nächsten Morgen hat sich das Wetter aber wieder beruhigt.
Ein Blick aus dem Fenster des Dorms ist wie ein Blick auf ein Gemälde: Morgennebelschwaden ziehen langsam über die dicht bewachsenen Hänge des Regenwalds. Weiter unten plätschert ein friedlicher Fluss. Indes sind die Vögel – im Gegensatz zu mir – schon lange aktiv und sorgen für eine bunte Geräuschkulisse.
Wie jedes andere Hostel in der Umgebung bietet auch meine Unterkunft geführte Touren an. Weil ich Geld sparen möchte, entscheide ich mich, den Trip ins Nahe gelegene Naturschutzgebiet auf eigene Faust zu unternehmen. Also wandere ich in das Stadtzentrum von Lanquin und frage die Bewohner nach Fahrzeugen, die sich in Richtung Semuc Champey begeben. Tatsächlich ist an diesem Tag erstaunlich viel los. Also springe ich auf die nächstbeste Ladefläche und verhandele kurz ein Fahrtgeld. Festhalten und los geht’s!
Nach 30 Minuten entlang schönster Szenerie komme ich auf dem Parkplatz von Semuc Champey an. Der Ort ist nur moderat besucht. Die Nebensaison macht hier einiges aus. Direkt nach dem Eingang habe ich die Wahl zwischen Kalksteinterrassen oder Aussichtspunkt. Ich entscheide mich für letzteres. Eine gute Wahl, die ich jedem nur ans Herz legen kann – auch, wenn das Schild eindeutig warnt, diesen Weg nur in guter physischer Kondition zu nehmen. Eine Stunde Treppensteigen bei über 30°C ist zwar nicht jedermanns Sache, dafür wird man oben mit einem absoluten Postkartenmotiv verwöhnt:
Der Abstieg ist nicht minder stressig. Aber dafür laden die natürlichen Pools zum Entspannen ein. Baden und die Dschungelatmosphäre aufsaugen – viel mehr zu tun gibt es hier nicht. Das reicht für ein paar erholsame Stunden fernab jeglicher Zivilisation. Nur der Gedanke an den Rückweg lässt mich schnell wieder auf dem Boden der Tatsachen ankommen…
Bei meiner Rückkehr sehe ich kaum noch Pick Ups auf dem Parkplatz. Die wenigen, die noch da stehen, verlangen horrende Summen für die Rückfahrt nach Lanquin. Macht ja nix, denke ich mir, die elf Kilometer kann ich auch laufen.
Tatsächlich ist es auch zu Fuß ein kurzweiliges Vergnügen: Bergauf und bergab windet sich der Weg entlang des Dschungels, immer unterbrochen von Feldern und kleinen Siedlungen. Dorfhunde traben mir hinterher, spielende Kinder gucken mich mit großen Augen an und Bauern grüßen mich lächelnd, wenngleich auch etwas verständnislos: Nur wenige Leute laufen den gesamten Weg bis nach Lanquin und die spätnachmittägliche Sonne knallt unbarmherzig vom Himmel herab. Wie gut, dass es ziemlich genau auf halber Strecke, quasi mitten im Nirgendwo, ein Kiosk gibt. Ohne Wasser wäre es nur schwer auszuhalten.
Nach diesen entspannten letzten Tagen habe ich mich lange genug von der Zivilisation fern gehalten. Also steige ich am nächsten Tag in den Bus in Richtung Westen. Denn dort wartet endlich mal wieder eine richtige Stadt auf mich…