Dieser See hat mich nachhaltig beeindruckt: Noch nie war ich an einem schöneren und friedlicheren Ort als den Lago de Atitlan. Kein Wunder, dass zahlreiche Reisende sich hier niederlassen möchten.
Puh, was für eine Fahrt. Der Kopf meiner schlafenden Sitznachbarin pendelt zum wiederholten Male zwischen meiner Schulter und der Fensterscheibe hin und her, während der viel zu kleine Bus den Berg hinaufächzt. Wie lange bin ich schon auf dieser Holperstrecke unterwegs, acht Stunden? Mindestens.
Irgendwann, es ist schon weit nach Sonnenuntergang, haben wir es geschafft: Der Lago de Atitlan ist in Sichtweite. Jetzt geht es nur noch bergab, bis in die Stadt Panajachel. Von hier aus bringt uns die letzte Fähre des Tages an unsere Zielorte, die entlang des Ufers verstreut sind.
Der auf 1600 Metern Höhe gelegene See gehört zu einem der beliebtesten Ausflugsziele in Guatemala. Schon im Voraus sollte man wissen, wo man sich überhaupt niederlassen möchte. Da das Dorf San Marcos la Laguna zu den ruhigsten Orten der Gegend zählen soll, habe ich mich gar nicht erst großartig mit Alternativen beschäftigt. Zudem verspricht die Lage meines Hostels – direkt am Ufer – tolle Ausblicke. Viel bekomme ich jedoch zunächst nicht von der Umgebung mit. Bei meiner Ankunft ist es stockdunkel. Lediglich ein paar verstreute Lichtpunkte entlang des Ufers lassen einzelne Dörfer vermuten.
Nach einer Mütze Schlaf begebe ich mich neugierig zum Ufer und traue meinen Augen kaum. Direkt am anderen Ende des Sees türmt sich ein majestätischer Vulkan auf, der von der aufgehenden Morgensonne beleuchtet wird. Er ist nicht der einzige im Bunde: Der gesamte See schlummert still und friedlich von einer Vulkan-Kette umgeben. Allein für diesen Ausblick hat es sich gelohnt, nach San Marcos zu kommen.
Im Laufe des ersten Tages beginne zu verstehen, wieso der Schriftsteller Aldous Huxley den Lago de Atitlan als „schönsten See der Welt“ bezeichnet hat. Die entspannte Atmosphäre, die diesen Ort umgibt, ist einmalig. Neben ihm zog der See zahlreiche weitere bekannte Herumtreiber wie Che Guevara, Klaus Kinski oder Roman Polanski magisch an. Noch heute ist besonders San Marcos extrem beliebt bei Aussteigern, Alt-Hippies und Yogafreaks, die sich unter die Maya-Völker mischen.
Die Aktivitäten in San Marcos sind zwar rar gesät, tun der Seele jedoch unheimlich gut: In unserem Hostel wird jeden Morgen Sonnenaufgangs-Yoga angeboten, man kann schwimmen gehen, Kanus leihen, oder sich in die Hände der zahlreichen Masseure begeben. Spiritualität und Nachhaltigkeit wird hier großgeschrieben – deshalb ist San Marcos ein idealer Ort, um seine Handy-Aktivitäten gegen Meditation einzutauschen und einmal in sich hineinzuhören.
Okay, zugegebenermaßen hat der Digital Detox bei mir zunächst mehr schlecht als recht funktioniert. Und zum wiederholten Male wird mir gewiss, wie schwer es mir fällt, einfach mal nichts zu tun. Trotzdem habe ich nach ein paar Tagen den Dreh raus, kann entspannt die Zeit verstreichen lassen, ohne auf die Uhr oder das Handy schauen zu müssen.
Nicht wenige entscheiden sich, anstelle der geplanten paar Tage gleich mehrere Wochen oder gar Monate am See zu bleiben. So geschah es übrigens auch Hans – einem Deutschen, der sich im Nachbarort Jaibalito niedergelassen hat und ein Restaurant eröffnete, in dem er inmitten eines tropischen Gartens Röstis, Gulasch und Käsespätzle nebst Avocadoshakes anbietet.
Der Weg dorthin führt entlang des Ufers an Feldern und einzelnen Häuschen vorbei. Diese Wanderung ist wunderschön, allerdings scheinbar gefährlich: Uns empfiehlt man im Voraus, den Weg nicht alleine zu bestreiten, weil es in Vergangenheit zu Überfallen kam. Die Warnung bringt uns auf den Boden der Tatsachen zurück. Selbst paradiesische Gegenden sind in Guatemala noch immer mit einem gewissen Grad an Vorsicht zu genießen. Letztendlich jedoch treffen wir während unserer Wanderung auf gut gelaunte Einheimische, die uns freundlich grüßen.
Etwas wilder als in San Marcos geht es im Nachbarort San Pedro la Laguna zu. Gleich nach der Ankunft bemerken wir einen ungleich geschäftigeren Vibe: Tuk-Tuks knattern die Straßen entlang, Restaurants bieten Gerichte aus aller Welt an und in den Kneipen der kleinen Gassen gibt es unglaublich günstige Drinks. Zweifelsohne hat sich in San Pedro eine Happy-Hour- und Feierkultur entwickelt, die wohl die meisten Atitlan-Reisenden anlockt.
Interessanterweise ist San Pedro eine äußerst bekannte Anlaufstelle für Reisende aus Israel. Es gibt zahlreiche Restaurants, in denen Falafel und Shakshuka angeboten wird und viele Schilder sind auf hebräisch geschrieben. Obwohl diese Art von Kulturschock erst einmal seltsam erscheint, kann der Tourismus davon nur profitieren – ich selbst habe bislang selten ein solch abwechslungsreiches Essens-Angebot wie in San Pedro mitbekommen.
Am Lago de Atitlan wird also fast jeder glücklich. Nur Großstadtfreunde müssen ihre Ansprüche etwas zurückschrauben. Selbst Panajachel und San Pedro, die beiden größten Orte, kommen zusammen auf noch nicht einmal 30.000 Einwohner. Doch dafür ist die Ruhe als eines der kostbarsten Güter in Fülle vorhanden, ganz gleich, in welchem Dorf man sich befindet. Deshalb kann man am Lago de Atitlan wunderbar die Seele baumeln lassen. Allerdings heißt es aufpassen, dass man hier nicht für immer hängen bleibt!