Kultur, Konzerte, Festivals – im Jahr 2021 kommt alles wieder! Das dachten sich viele sicherlich noch zu Beginn des Jahres. Da aber zu dem Zeitpunkt noch niemand mit den diversen Corona-Varianten gerechnet hat, rappelt sich die Musikwelt auch im Sommer 2021, nach knapp anderthalb Jahren globaler Pandemie, nur langsam wieder auf. Während die Fußballfans im Zuge der EM langsam wieder europaweit in die Stadien tingeln, gibt es auf Festivals und Konzerten nach wie vor strenge Reglementierungen, die in Abhängigkeit der Inzidenzzahlen stehen.
But the Show must go on. Irgendwie. Das dachte sich zumindest die Crew vom Wilde Möhre Festival, die schon im letzten Jahr unter dem Namen Milde Möhre fünf abgespeckte Veranstaltungen organisierte. Mit Erfolg: In deutlich reduzierter Besucherzahl tanzte das Publikum mit Hygienevorschriften und Maskenpflicht im idyllischen Brandenburger Hinterland. Die neue Platzfreiheit wurde dankend angenommen, die Superspreader blieben aus. Wieso also ein Jahr später nicht erneut mit mehreren Veranstaltungen an den Start gehen?
Gesagt, getan: Mit dem Firletanz, dem Maskenball, der Klimperkiste und der Seelenschaukel zelebriert das Möhre-Team an vier wunderbaren Sommerwochenenden elektronische Musikkultur von Downtempo bis Acid Techno. Dabei setzen sie bei jeder Veranstaltung auf einen anderen Schwerpunkt: Von Kleinkunst und Theater über Yoga und Selfcare bis hin zu Workshops, Do-it-Yourself-Angeboten und handgemachter Musik bieten die Wilden Möhren ein vielfältiges kulturelles Angebot und pflanzen damit ein saftiges Statement in die ausgedörrte Festivallandschaft 2021.
Masken, Ampeln, Achtsamkeit
Wie schon im Jahr zuvor muss das Team vom Wilde Möhre-Festival eine Begrenzung der sonst üblichen Besucherzahlen in Kauf nehmen, um die Veranstaltung durchzuführen. Das bringt einige Vorteile mit sich: Niemand steppt sich auf die Füße, lange Warteschlangen sind fast nicht existent. Ideale Bedingungen also, um nach Monaten der unfreiwilligen Enthaltsamkeit sachte wieder in den Feier-Flow zu kommen. Die Maskenpflicht auf der Tanzfläche (bzw. überall da, wo der Sicherheitsabstand nicht eingehalten werden kann) kennt man ja schon vom Jahr zuvor, und wer noch nicht vertraut mit dieser Regelung ist, gewöhnt sich schnell dran.
Falls die Lage doch einmal droht außer Kontrolle zu geraten, sorgt das bewährte Ampelsystem dafür, dass alle informiert werden. Bei gelber Ampel wird die Musik leiser gedreht, bei roter Ampel gestoppt. Zum Glück kommen diese Warnungen nur selten zum Einsatz. Man merkt schnell, dass es allen wichtiger ist, eine gute Zeit zu haben, als komplett enthemmt über die Stränge zu schlagen. Nicht zuletzt sorgt das eifrige Achtsamkeitsteam dafür, dass sich alle in diesen ungewöhnlichen Umständen wohl fühlen.
Auch die erstmals eingeführte Testpflicht wird von den Gästen gut angenommen. Wer nicht geimpft ist oder kein negatives Testergebnis dabei hat, muss sich jeden Tag bei der festivaleigenen Covid-Station testen lassen. Das Ergebnis wird auf einem Chip auf dem Bändchen gespeichert. Negativ Getestete dürfen dann für 24 Stunden auf das Gelände – bis die nächste Testung ansteht. Was sich kompliziert anhört, geht in der Praxis nach anfänglichen Startschwierigkeiten erstaunlich flüssig vonstatten.
Als Modellprojekt genehmigt
Der Planungsstress und die Disziplin zahlen sich aus: Nach zwei erfolgreich bestandenen Editionen mit etwas mehr als 1000 Feierwütigen verbreitet das Festival die frohe Kunde, dass es als Modellprojekt des Landes Brandenburg akzeptiert wird. Nun kann sich die Wilde Möhre erlauben, noch einige weitere Tickets für die verbleibenden Veranstaltungen zu verkaufen und auch das wunderschöne Gelände um eine Bühne zu erweitern.
Der Sprung von 1000 auf 2500 Besucher fühlt sich zunächst gewöhnungsbedürftig an, irgendwie enger, aber immer noch kein Vergleich zu manchen Festivals zu Zeiten vor der Pandemie. Zudem ist es dem Team nur zu gönnen, damit etwas mehr finanzielle Sicherheit zu bekommen – beweist es doch, dass auch in Pandemiezeiten größere Events möglich sind, wenn man die Sicherheitskonzepte geschickt umzusetzen weiß.
Die Stimmung bei den Wilde Möhre-Festivals mag man im Nachhinein kaum in Worte fassen. Zu surreal fühlt es sich an, nach so vielen Monaten voller Ungewissheit und ohne Tanzveranstaltungen in hunderte glückliche Gesichter blicken zu können, mit denen man die Liebe zur Musik teilt. Es sind laute, bunte, euphorische Wochenenden, deren großartig zusammengebuchte Acts (Dominik Eulberg, Andhim, Sven Dohse, Heimlich Knüller, Bebetta, Katzenohr, nur um einige zu nennen) und zahlreiche weitere Programmpunkte dafür sorgen, dass der Zeitraum vom Freitag bis zum Montag wie ein endorphingetränkter Wimpernschlag erscheint.
Am Ende bleibt zu hoffen, dass das Orga-Team an der Idee festhält, lieber mehrere kleine Festivals zu organisieren als ein großes. Mittlerweile kann ich mir kaum mehr vorstellen, mich durch die Menschenmassen eines überfüllten Geländes zu schlängeln, um einen Platz zum Tanzen zu finden. Vielleicht dient die Möhre ja sogar als gutes Beispiel dafür, wie sich Raves in naher Zukunft bestenfalls anfühlen sollten.
Bei Jeden Tag ein Set gibt es übrigens auch in diesem Jahr wieder einige Gigs der Wilden Möhren 2021 nachzuhören.