Größer, bunter, besser – und das jedes Jahr aufs Neue: Mit über 600 Gigs und 50.000 Besuchern stellte das Reeperbahn Festival 2019 einen neuen Rekord auf. Auch ich erreichte eine neue Bestmarke: 17 Konzerte lockten mich für vier Tage in Kirchen und Keller, an Bühnen und Bars. Hier kommen zehn Bands, die ich wohl noch in den nächsten Jahren mit dieser wunderbaren Veranstaltung verbinden werde.
1. Someone (Mittwoch 23:25, Molotow Keller)
Nachdem ich Someone das erste Mal auf dem diesjährigen Eurosonic Festival entdeckt und gefeiert habe, bin ich auch dieses Mal wieder hin und weg von dieser wunderbaren Melange aus Art Pop und Psych Rock. Mit vielen neuen Songs im Gepäck erobert sie die Herzen des winzigen Molotow-Karatekellers im Sturm. Die Enge und Unmittelbarkeit der Location kommt auch der Band auf der kleinen Bühne zu Gute, die sichtlich ihren Spaß am Jammen hat. Festivalact der Herzen. Und das schon am Mittwoch.
2. Winterbourne (Donnerstag 19:45, St. Pauli Kirche)
Kirchenkonzerte sind auf dem Reeperbahn Festival immer etwas ganz Feines, weil die Akustik die Interpreten zu ungeahnten Höchstleistungen anspornt. Wenn dann auch noch zwei so stimmgewaltige Musiker wie Winterbourne vor dem Altar stehen und Indiefolk-Songs ihres frisch erschienenen Debüts halbakustisch durch die Kirche schmettern, dann bleibt dem Publikum gar nichts anderes übrig, als ehrfürchtig auf die Knie zu gehen. Absolut versierter Gig, und das auf ihrem ersten Deutschlandbesuch. Winterbourne, wir werden uns wiedersehen!
3. Bayonne (Donnerstag 21:30, Häkken)
Angefixt vom teuflisch guten Elektropop-Ohrwurm I Know bin ich gespannt, was der Texaner Bayonne im kleinen Häkken-Club live so auf die Beine stellen wird. Viel Platz ist nicht auf der vollgepackten Bühne und man sieht sofort, dass da vorne ein Perfektionist mit ganzem Herzen am Werk ist. Seine Musik pendelt immer wieder zwischen warmem Folk und kühl-reduzierten Elektronikasounds. Viel Handwerk, wenig Effekthascherei. Verdammt schöne Mischung, die bei allem Geschmachte auch immer wieder daran erinnert, dass Füße auch zum Tanzen da sind.
4. Mid City (Donnerstag 00:10, Molotow Club)
Noch nie eine Band gesehen, die so sehr polarisiert. Dabei fing alles so verheißungsvoll an! Im Voraus bin ich nämlich nicht der Einzige, der absolut angetan vom Sound der Band ist. Nur wenige bringen den Indie der 2000er so souverän in die Gegenwart wie Mid City. Debüt von Billy Talent anyone? Im Laufe des Gigs lichtet sich das Publikum im zunächst sehr vollen Molotow-Clubs jedoch merklich. Die meisten, so erfahre ich später, waren sichtlich eingeschüchtert von der Offensivität des Sängers, der sich in Gedanken bereits in den Stadien dieser Welt wähnt. Für viele war’s wohl eine Spur too much. Für mich war’s einfach ne geile Show.
5. Islandman (Donnerstag, 22:20 Prinzenbar)
Beim Stöbern durch die hunderten von Acts, die auf dem Reeperbahn Festival auftreten, waren Islandman schon beim ersten Reinhören ein Treffer: Infektiöser elektronischer Downtempo, der von der Hörmuschel übers Gehirn direkt ins Bein wandert. Beim Bandnamen dachte ich zunächst an einen DJ, doch es kam noch viel besser: Auf der Bühne stehen an diesem Abend drei Herren, die das Publikum auf einen elektronischen Trip rund um die Welt entführen. Am Ende scheint die gesamte Prinzenbar zu strahlen, so sehr freut sich jeder einzelne Besucher, der dieses Happening miterleben durfte. Also, wenn die drei nicht noch richtig durch die Decke gehen…
6. Deichkind (Freitag 20:00, Millerntor)
16 Uhr Pizza vorm Mojo-Club!, verkündet die knappe Instagram-Story vom Reeperbahn-Festival – rund eine Stunde im Voraus. So schnell kann man gar nicht Remmidemmi sagen, wie ich mich auf mein Fahrrad schwinge, um dem Spektakel beizuwohnen. Findige Deichkind-Freunde wissen nämlich, dass bei solch einer Message etwas im Busch sein muss. Am Mojo angekommen, wähnen mit mir ein paar weitere Dutzend Neugierige einen Gig von Deichkind. Anstelle dessen eine Deichkind-typische, Aufsehen erregende Schwarzweißparade, die wenige Stunden später einen Gig am Millerntor-Stadion ankündigt. Pflichtprogramm! Was dort dann folgt, sind kiloweise Konfetti, viel neues Material und ein für Deichkind-Verhältnisse intimer Gig, der wahnsinnig Lust auf das anstehende Album macht. Schön, dass ihr wieder da seid.
7. COMA (Freitag 22:10, Prinzenbar)
Erneut Prinzenbar, erneut ein fantastischer Gig von Musikern, die sich gleichsam mit analoger und digitaler Musik bestens auskennen. Von einem meiner Lieblingslabels KOMPAKT kommen diese beiden Kölner Herren, die bereits auf Liebhaber-Festivals wie dem lunatic oder dem Appletree Garden aufgetreten sind. Und wie schon die Male zuvor als DJ-Act, gelingt ihnen auch in Live-Besetzung der Spagat zwischen eingängigem Pop und Clubsounds hervorragend. Immer wieder gerne!
8. The Screenshots (Samstag 20:10, Terrace Hill)
Die Band mit dem gewissen „extra“ steht auf den Visitenkarten, die die Screenshots während ihres Konzerts verteilen. Vorbildlich! Schließlich geht es beim Reeperbahn Festival doch immer noch ums Netzwerken. Die Band verspricht nicht zu viel: The Screenshots sind unverschämt sympathische Krefelder, die unverschämt energiegeladene Powerpop-Hymnen mit unverschämt eingängigen Catchphrases schreiben. Drei Leute, drei Akkorde, Drei-Minuten-Songs – schön zu hören, dass diese Rechnung mal wieder so richtig aufgeht.
9. Apache 207 (Samstag 21:40, Gruenspan)
Apropos unverschämt eingängige Catchphrases: BROT NACH HAUSE. Wem sich bei diesen drei Worten nicht sofort der gleichnamige Song vom Internet-Hype der Stunde in den Kopf krallt, der war wohl die letzten Monate nicht auf Youtube unterwegs. Der Gig von Apache 207 – sein erster überhaupt, wohlgemerkt – stellt sich als musikgewordenes Meme heraus, dessen Erfolg der Künstler wohl selbst nicht so ganz fassen kann. Die kreischende Meute in den ersten Reihen zeigt aber, dass er einiges richtig gemacht haben muss. Apache hat das Game kapiert!
10. Sports Team (Samstag 00:10, Molotow Club)
Sports Team und ich, das hat bisher nicht so recht geklappt. Beim diesjährigen Best Kept Secret erschien ich genau zu den letzten Takten, auf dem Glastonbury war es einfach viel zu heiß, um sich zu bewegen. Dieses Mal ist das Setting – Samstag Nacht im Molotow – eigentlich perfekt. Allerdings war ich dieses Mal derjenige, der vom Sänger, Marke: Ich erobere euch alle im Sturm, ob ihr wollt oder nicht, eher überfordert war. Auch wenn die Briten wirklich tollen, klassischen Indie-Rock & Roll machen, war das eine Spur too much. Für viele war’s einfach ne Wahnsinns-Show. So scheiden sich die Geister.