Der Paricutin beeindruckt in mehrerer Hinsicht: Er ist einer der jüngsten Vulkane der Welt und wuchs vergleichsweise rasend schnell heran. Heutzutage ist es einfach, ihn zu besteigen – wenn das Wetter mitspielt.
Kleine Geschichtsstunde: Im Jahr 1943 vernahm ein mexikanischer Bauer während seiner Arbeit ein dumpfes Ploppen im Feld. Überrascht beobachtete er, wie sich die Erde auftat. Er ahnte Schlimmes und ging auf Sicherheitsabstand, während langsam aber sicher ein stattlicher Hügel heranwuchs.
Der Hügel hörte nicht auf zu wachsen. Schon nach zwei Tagen war er 50 Meter hoch. Ein Jahr später hat er sich zu einem ausgewachsenen Vulkan transformiert, der das anliegende Dorf Paricutin unter sich zu begraben drohte. Die 6000 Bewohner bemerkten die Gefahr, ließen ihre gesamten Besitztümer hinter sich und verließen ihre Heimat. Gute Idee, denn der darauffolgende Ausbruch ließ das Dorf mitsamt der benachbarten Siedlungen komplett in Lava und Asche versinken.
Geschlagene neun Jahre dauerte die Eruption und das Wachstum an. Das Naturschauspiel endete in einem 424 Meter hohen Krater, umgeben von einer Geröllwüste aus Lavagestein. Sämtliche Anzeichen, dass hier einmal Menschen lebten, wurden ausgelöscht. Einzig der Kirchturm von Paricutin ragt noch immer aus der erkalteten Lava hervor.
Um das Dorf nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, wurde der Vulkan „Paricutin“ getauft. Noch immer gehört er zu den jüngsten Vulkanen der Welt. Aufgrund seines unverhältnismäßig schnellen Wachstums wurde er zu einem der Seven Natural Wonders of the World gekürt und zieht damit Wissenschaftler wie Touristen gleichermaßen an. Klar, dass auch ich mir den Vulkan von Näherem anschauen möchte. Die Stadt Uruapan dient mir dabei als Ausgangspunkt.
Nach einer sehr kurzen Nacht begebe ich mich noch vor dem Sonnenaufgang zur zentralen Bushaltestelle. Von hier aus gilt es den Bus in das indigene Dörfchen Angahuan zu nehmen. Während die Sonne langsam hinter den Bergen hervorschimmert, liegt hinter mir eine dicke Wolkenfront, die in der Nacht für ordentlich Regen gesorgt hat.
Nach rund einer Stunde erreiche ich mein Ziel. Von den 8000 Einwohnern in Angahuan spricht nur ein Bruchteil Spanisch, und das auch nur mehr schlecht als recht. Ich muss aufpassen, nicht in Pfützen zu treten, während mir aus unzähligen Lautsprechern Mantras einer mir komplett unbekannten Sprache zu Ohren kommen. Irgendwie geht eine sonderbare Magie von diesem Ort aus.
Hier in Angahuan ist niemand gestresst. Die Einwohner grüßen mich und bringen gemächlich ihre Kinder zur Schule. Entlang der Wege warten Pferde auf den ersten Ausritt des Tages. Davon scheint es hier mehr zu geben als Autos. Ich fühle mich um Jahrzehnte zurückversetzt.
Ortskundige Führer bieten mir ihre Dienste an, die ich jedoch dankend ablehne. Wenn wir schon den 5000 Meter hohen Iztaccihuatl erklimmen konnten, dann wird es doch wohl locker möglich sein, den 400 Meter hohen Paricutin ohne Führer zu bezwingen. Also stiefele ich auf eigene Faust los. Wobei – alleine bin ich nicht. Ein eifriger Hund aus dem Dorf möchte mich begleiten.
Nach einem einstündigen, angenehmen Spaziergang über Stock und Stein beginnt der spannende Teil der Wanderung: Die Geröllwüste. Am Horizont erkenne ich bereits das Ziel.
Farbspritzer auf den Steinen weisen den groben Weg und sorgen dafür, dass ich mich nicht verlaufe. Obwohl verlaufen schon schwer wäre, schließlich sehe ich den Vulkan die ganze Zeit direkt vor mir. Eigentlich scheint er gar nicht so weit entfernt, aber von Stein zu Stein zu hüpfen ist schon nach kurzer Zeit extrem anstrengend. Mein Begleiter hingegen nimmt die Hindernisse mit Bravour. Hund müsste man sein…
Nach zwei schweißtreibenden Stunden auf den Lavabrocken erreiche ich den Fuß des Kraters. Nun gilt es nur noch den Vulkan selbst zu besteigen. Der Boden besteht aus loser, warmer Vulkanasche und fühlt sich weich unter meinen Füßen an. Ich freue mich, dass ich nicht mehr bei jedem Schritt aufpassen muss, wo ich hintrete. Nach einer weiteren haben Stunde wünsche ich mir aber nichts sehnlicher, als endlich oben anzukommen. Mit jedem Schritt sinke ich ein wenig in der Erde ein und rutsche zurück.
Endlich oben! Unter mir breitet sich das Tal aus, das beinahe komplett von schwarzer Lava bedeckt ist. Pflanzen sind nur wenige auszumachen. Nebelschwaden, die um den Krater wabern, unterstreichen die apokalyptische Szenerie. Trotz dieser eigenartigen Tristesse kann ich mich kaum satt sehen.
Nach einer weiteren Stunde ist es Zeit für den Abstieg. Das Wetter wird zunehmendes ungemütlicher und auch meine vierbeinige Begleitung wirkt ungeduldig.
Ich entdecke einen Weg, der ohne Umwege nach unten führt. Der lose Sand und die gerade Stecke laden geradezu zum Surfen ein. Also sause ich mit meinem Wegbegleiter in einem Affenzahn nach unten. Schon zwei Minuten später und mit jeder Menge Sand im Schuh habe ich den Fuß des Vulkans erreicht.
Die Wolken werden immer dunkler. Aus der Ferne bemerke ich gleich drei Gewitterfronten heranziehen. Nix wie zurück, die ersten Regentropfen fallen bereits! Ein Einheimischer gibt mir zu verstehen, dass es hier einen einfachen Wanderweg nach Angahuan gibt.
Irgendwie habe ich es schon nach 15 Minuten geschafft, vom Weg abzukommen. Warum zum Henker bin ich wieder auf dem Lavafeld? Die Karte auf dem Handy kann mir nur via Luftlinie helfen: Drei Kilometer sind es bis zum Beginn des Wanderwegs. Allerdings muss ich ständig Umwege nehmen. Die Steine hier sind teilweise riesig und mitnichten mit einfachen Hüpfern zu bestreiten. Zudem hat sich mittlerweile ein ausgewachsener Eisregen-Schauer entwickelt.
Dicke Eisklumpen fallen vom Himmel und lassen den schwarzen Boden nach kurzer Zeit weiß aufleuchten. Ein Weiterkommen ist unter diesen Umständen unmöglich. Also suche ich mit meinem Gefährten Zuflucht unter einem Felsvorsprung. Mittlerweile sind wir durchnässt bis auf die Knochen. Hauptsache die Kameras bleiben heile…
Nach geschlagenen fünf Stunden erreichen wir endlich das Ende des Lavafelds. Das Eis ist zwar wieder geschmolzen, dafür hat es sich ordentlich eingeregnet und Blitze zucken im Sekundentakt. Trotzdem lasse ich es mir nicht nehmen, das letzte Überbleibsel vom Dorf Paricutin zu beäugen: Die Kirche. Sie befindet sich glücklicherweise nicht weit entfernt von Angahuan.
Der Regen mäßigt sich etwas, als ich die Kirche erreiche. Irgendwie stolz ragt das letzte Überbleibsel der Zivilisation aus der erkalteten Asche hervor. Rundherum nichts als verbrannte Erde. Bei diesem Wetter könnte die Gegend ideal als Kulisse für einen Horrorfilm herhalten.
Es ist ein seltsames Gefühl, quasi auf einer Stadt zu laufen, in der vor nicht einmal hundert Jahren reges Treiben herrschte. Nach kurzer Zeit setzt wieder Starkregen ein. Mein Hundefreund hat die Schnauze voll. Er prescht klitschnass zurück in Richtung Angahuan.
Am Ende dieser Wanderung bin ich halbtot und heilfroh, wieder im Dorf angekommen zu sein. Das warme Hostel ist nur noch eine Taxifahrt nach Uruapan entfernt! Der Taxifahrer holt mich mit seiner Euphorie wieder zurück ins Leben. „Wie bitte? Du bist ohne Guide auf den Vulkan gegangen?“, fragt er mich feixend. Seine Reaktion bringt mich ins Grübeln. War es denn wirklich solch eine gute Idee? Nachdem ich meine Ausrüstung inspiziert habe – die Kameras funktionieren noch – beantworte ich mir die Frage selbst. War ’ne gute Idee… Nur schade, das ich keine Beweisfotos vom Eisregen machen konnte.
Nach Uruapan kommt man von jeder größeren Stadt im Bundesstaat Michoacan – wenn nicht direkt, dann über die 100 Kilometer entfernte Hauptstadt Morelia. Busse von Uruapan nach Angahuan fahren ab 05:30 und kosten lächerliche 23 Pesos – etwas mehr als einen Euro. Der Schalter der zuständigen Busgesellschaft Rumbos ist ganz links im Busbahnhof Uruapan. Der Bus fährt übrigens bis Los Reyes, also nicht den Absprung in Angahuan verpassen!
In Angahuan gibt es viele Guides die für rund 300 Pesos (15 Euro) ihre Dienste anbieten, viele auch mit Pferden. Ob man sie in Anspruch nimmt, bleibt jedem selbst überlassen.