Brandenburg ist schon eine Welt für sich. Endlose Grasflächen, riesige Wälder und die Vielzahl an Badeseen und Radwanderwegen machen das Bundesland zu einem Favoriten für Naturliebhaber. Wo es hier an Bergen fehlt, gibt es eben Lost Places – und die auch nicht zu knapp.
Dass es im Umkreis von Berlin zahlreiche verloren geglaubte Orte gibt, ist kein großes Geheimnis. Lost Places, wie etwa das alte Chemiewerk Rüdersdorf erfreuten sich besonders in den ersten Monaten der Pandemie größter Beliebtheit unter abenteuerhungrigen Outdoor-Liebhabern. So richtig spannend wird’s aber, wenn man den Radius etwas erweitert und sich ein wenig tiefer in die endlosen Wälder von Brandenburg begibt. Dann kann es nämlich sein, dass man auf ein altes Raketentestgebiet von gigantischem Ausmaß trifft. Willkommen in der ehemaligen Heeresversuchsanstalt Kummersdorf!
Die Chancen stehen nicht schlecht, dass man von Kummersdorf noch nie etwas gehört hat, wenn man sich nicht unbedingt mit Militärgeschichte oder Waffentechnik beschäftigt. Unscheinbar liegt die kleine Ortschaft im Brandenburgischen Landkreis Teltow-Fläming; die nächstgrößeren Städte sind Luckenwalde, Wünsdorf und Baruth/Mark. Eigentlich ein unaufgeregter Ort mit Kiefernwäldern und einem Badesee, wie so viele andere in Brandenburg. Und doch war dieses unscheinbare Gebiet von immenser Bedeutung für die Erprobung von Waffensystemen.
Strategisch günstig wurde hier, mitten im Nirgendwo, bereits 1874 ein Artillerieschießplatz errichtet, der im Laufe der folgenden Jahrzehnte um kilometerlange Schießbahnen sowie dutzende Bunker, Beobachtungsstände und Zielbauten erweitert wurde. Als so genannte Heeresversuchsanstalt mauserte sich Kummersdorf während des zweiten Weltkriegs zu einem Zentrum für die Militärforschung. Man testete dort Munition, Panzer und Raketenantriebe, und experimentierte mit den neuesten Erkenntnissen aus der chemischen Kriegsführung oder Nuklearforschung. Es gibt kaum ein Versuchsfeld im Bereich der Militärtechnik, das in diesem Wald unangetastet blieb.
Ganz in der Nähe des Testgeländes wurden eine Kaserne und eine Siedlung errichtet, die jahrzehntelang als Ausbildungs- und Wohnstätte für Soldaten und Zivilisten diente und nach dem zweiten Weltkrieg von den Sowjets übernommen wurde. Das Gelände verwandelte sich in der Nachkriegszeit von einer Versuchsanstalt in einen Transport- und Logistik-Standort der sowjetischen Streitkräfte und bekam den nahegelegenen Militärflughafen Sperenberg spendiert, der noch bis in die 1990er Jahre in Benutzung war.
Nach dem Abzug des sowjetischen Truppen ging das Gelände in die Hände des Bundes über und war für einige Zeit im Gespräch als Standort für den Flughafen Berlin-Brandenburg. Als es 2012 schließlich dem Land Brandenburg übergeben wurde, war die Natur schon lange wieder zurück.
Wer die Gegend um Kummersdorf auf eigene Faust erkunden möchte, sollte ein gutes Fahrrad, geeignetes (Online-) Kartenmaterial und viel Geduld mitbringen. Die Ausmaße des Waldes sind wirklich enorm, aber dafür sind die Chancen hoch, alle paar hundert Meter auf verfallene Überreste des Testgeländes zu stoßen. Müßig zu erwähnen, dass man das gesamte Gebiet nur mit äußerster Vorsicht betreten sollte, weil sich dort noch immer zahlreiche Munitionsreste befinden könnten.
Das Kasernengelände selbst ist mehr oder weniger gut mit einem Zaun gesichert, und steht seit 2007 unter Denkmalschutz. Ganz in der Nähe befindet sich das Historisch-Technische Museum Kummersdorf, das Führungen anbietet und im Rahmen einer ständigen Ausstellung über die Geschichte dieses faszinierenden Ortes informiert. Weitere Infos findet man in diesem ausführlichen und gut recherchierten Artikel auf Spiegel.de.