Honduras setzen viele mit „Utila“ gleich. Diese Party-Insel zieht zahlreiche Tauchfreunde in den Norden des Landes. Andere Orte scheinen die Reisenden dagegen kaum zu interessieren, was vor allen Dingen daran liegt, das Honduras ein anspruchsvolles Urlaubsland ist.
Ich habe eine Woche, bis ich mich mit Freunden auf Utila treffe – genug Zeit, um ein wenig den Rest des Landes auszukundschaften. Auf dem ersten Blick spricht jedoch alles gegen einen ausgedehnten Besuch. So schmücken sich die größten Städte regelmäßig mit den zweifelhaften Prädikaten der weltweit gefährlichsten Orte. Auch sonst steckt die Infrastruktur für Touristen noch in den Kinderschuhen, was zum Großteil daran liegt, dass Honduras lange Zeit der Inbegriff einer Bananenrepublik war: Wirtschaftlich ausbaufähig, von US-amerikanischen Großkonzernen geschröpft und von korrupten Diktatoren regiert, wird dieses Land von Reisenden zum Großteil gemieden.
Gracias und Copan: Rückzugsorte im Süden des Landes
Meine erste Station ist die Stadt Gracias. Ich scheine sie auf dem falschen Fuß zu erwischen – es regnet ununterbrochen. Hinzu kommt die Schwierigkeit, eine einigermaßen anständige Unterkunft zu finden. Komisch, denn eigentlich sagt man sich, dass es sich in Gracias sehr gut aushalten lässt. Die grantigen Stadtbewohner – ich schiebe es an dieser Stelle mal auf das schlechte Wetter – tragen nicht unbedingt zu besserer Laune bei. Es gibt hier zwar eine Festung, die tolle Aussichten über die Stadt offenbaren soll, doch bei dem Wetter sehe ich nichts als einen grauen Schleier. Ich flüchte schon nach kurzer Zeit und schieße kein einziges Foto in Gracias – und das will etwas heißen!
Obwohl ich in den letzten Wochen viele, viele Ausgrabungsstätten gesehen habe, wage ich einen Abstecher nach Copan. Dieses idyllische Kolonialstädtchen gehört nicht nur zu den schönsten des Landes, sondern beherbergt Maya-Ruinen mit bemerkenswert gut erhaltenen Skulpturen. Eigentlich ziemlich übersättigt von Steinhaufen, erfreue mich dennoch an der entspannten Atmosphäre. Zudem sorgen zahlreiche farbenprächtige Aras am Eingang des Geländes für staunende Gesichter und faszinieren auch mich eine Zeit lang.
Das Fernverkehrssystem in Honduras ist angenehm unkompliziert. Allerdings sollte man hier mehr denn je die Regel „Nur im Tageslicht fahren!“ beherzigen. Für meinen weiteren Weg nach Utila bedeutet das: Extra zeitig aufstehen und den ganzen Tag im Bus verbringen. Die Straßen sind gut ausgebaut, viel zu sehen gibt es entlang der Wege aber nicht. Nach rund zehn Stunden Fahrt inklusive umsteigen in San Pedro Sula – einer der Orte mit der höchsten Mordrate – erreiche ich La Ceiba, wo ich die letzte Fähre in Richtung Utila erwische.
Utila: Der Backpacker-Spot #1 in Mittelamerika
Nachdem ich im letzten Jahr meinen Tauchschein auf den Philippinen gemacht habe, möchte ich nun ein Level aufsteigen und den Fortgeschrittenen-Kurs in Angriff nehmen. Es gibt dafür wohl kaum ein besseres Ziel in Mittelamerika als Utila. Preislich ist die Insel ungeschlagen, wenn um qualitativ hochwertige Tauchkurse geht.
Doch das ist nicht das einzige Alleinstellungsmerkmal: Utila ist DIE Party-Insel in Honduras und womöglich in ganz Mittelamerika. Wer hier landet, weiß schon im Voraus: 1. Es wird getrunken. 2. Es wird getaucht. Von hippen Travellern wird die Insel derzeit dermaßen abgekultet, dass ein mehr oder minder lustiges Image-Video bereits viral gegangen ist. Wer es bis zum Schluss aushält, hat einen guten Eindruck davon, wie es um Utila bestellt ist.
Utila ist ein eindrucksvolles Beispiel, wie Gringos die Kultur einer Gegend grundlegend verändern können. Ein Großteil der Einheimischen zieht jedoch mit, eröffnet Tauchschulen, Restaurants und Bars und verdient sich damit eine goldene Nase. Wer nicht mitspielt, wird ins Innere Insel verdrängt. Dort, wo die Zeit plötzlich ganz anders schlägt, wo die Leute abends auf der Straße sitzen und grillen, wo es keine Tequila-Specials und Techno-Bässe gibt.
Abgesehen davon herrscht auf der gesamten Insel eine ungemein friedvolle Stimmung – hier kommt jeder mit jedem klar. Damit ist Utila für Touristen wie Einheimische der sicherste Ort des ganzen Landes. Auch das Bewusstsein für die fragile Unterwasserwelt spielt hier eine große Rolle: Wenn es um den Artenschutz geht, ziehen alle an einem Strang. Exzess, Konsum, Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein gehen auf dieser Insel eine seltsame, aber erstaunlich gut funktionierende Symbiose ein.
Ich bin froh, mich schon im Voraus für eine Tauchschule entschieden zu haben, denn auf Utila hat man die Qual der Wahl zwischen Dutzenden. Während die Qualität der Unterrichtsmaterialien und Boote sich zumeist ähneln, liegen die größten Unterschiede im Service, sprich: Kontakt zu den Tauchlehrern und allabendliches Animationsprogramm.
Wenn man hier einmal abtaucht, möchte man am liebsten nie wieder nach oben. Von Walhaien über Delfinen bis hin zu Meeresschildkröten gibt es eine unglaubliche Artenvielfalt zu bestaunen.
Für viele junge Reisende geht auf Utila ein Traum in Erfüllung. Alles dreht sich hier ums Tauchen und Feiern. Deshalb bleiben nicht wenige für mehrere Wochen oder gar Monate. Meine Freunde und ich hingegen begnügen uns mit einem einwöchigen Aufenthalt. Das ist immer noch genug, um den Fortgeschrittenen-Kurs und ein paar einzelne Tauchgänge zu absolvieren. Trinken kann man schließlich überall.
Mit dem Advanced-Open-Water-Zertifikat in der Tasche verlassen wir Utila und machen uns auf den Weg in Richtung Süden. Die letzten anderthalb Tage in Honduras verbringen wir in der Hauptstadt Tegucigalpa. Sie ist wunderschön gelegen, besitzt jedoch ansonsten alle Eigenschaften einer typischen mittelamerikanischen Metropole: Laut, dreckig, gefährlich und stressig. Deshalb sind wir auch nur zur Durchreise hier, sortieren unsere Sachen und checken unsere Finanzen, bevor es weiter zur nächsten Grenze geht.
Keine Frage, Honduras ist weit davon entfernt, ein klassisches „Urlaubsland“ zu sein. Es erfordert Zeit und den Willen, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen. Andernfalls läuft man Gefahr, den typischen Klischees über Lateinamerika auf dem Leim zu gehen. Um die wahre Seele der Einwohner besser kennen zu lernen, ist ein Aufenthalt von ein paar Tagen eher nicht förderlich – eher braucht es Wochen, um zu wissen, wie die Zeiger hier ticken. Und nur Utila reicht da sicherlich nicht aus.