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Chemiewerk Rüdersorf: Ein filmreifer Lost Place am Rande von Berlin

Große Sprünge kann man im Sommer 2020 ja eher nicht machen. Zum Glück befinden sich so manche Abenteuer aber beinahe direkt vor der Haustür. Wie zum Beispiel das riesige Chemiewerk Rüdersdorf, das im Speckgürtel von Berlin auf seine Erkundung wartet.

Auf der Suche nach spannenden Orten für eine Fahrradtour durch Brandenburg bleibe ich bei mehreren Online-Artikeln über das verlassene Chemiewerk Rüdersdorf am Rande von Berlin hängen. Riesig soll es sein, mit unzähligen Gebäuden, unterirdischen Gängen und grandiosen Aussichten. Ein perfekter Lost Place also, um die Abenteuerlust zumindest für kurze Zeit zu stillen.

In der Tat ist das Areal im Südosten Berlins wohlbekannt, hatte es doch im 20. Jahrhundert einen enormen Einfluss auf die Region. Die Geschichte des Werks beginnt im Jahr 1900, als das Gelände noch ein Standort für industrielle Zementverarbeitung war. Zwischen den beiden Weltkriegen beschleunigte es maßgeblich den Bau der deutschen Autobahnen, bis dort im Jahr 1944 synthetisches Bauxit erzeugt wurde, um den Aluminiumbedarf während des zweiten Weltkrieges zu stillen.

Das Werk gehörte für damalige Verhältnisse zu den technisch modernsten der Region. Dementsprechend ist es auch wenig verwunderlich, dass es die Sowjets nach dem Krieg bis auf die Grundmauern demontieren und die Einzelteile gen Osten verfrachten ließen – bis 1950 ein Neuanfang gewagt wurde. Das dort hergestellte Magnesiumphosphat, was zu Düngemittel weiterverarbeitet wurde, fand einige Jahrzehnte lang reißenden Absatz bei Abnehmern im Westen. Nachdem das Werk in den 1970er Jahren seine Blütezeit erlebte, erfolgte die Schließung aufgrund massiver Fehlspekulationen einiger Investoren im Jahr 1999.

Seit der Jahrtausendwende fristet das Chemiewerk Rüdersdorf sein Dasein als furchteinflößendes Betonskelett am Rande von Berlin. Durch die leeren Fensterrahmen pfeift der Wind, sämtliche Türen fehlen, und überhaupt wurde alles, was nicht niet-und nagelfest ist, mitgenommen. Mit Abrissarbeiten hat man es bei den meterdicken Stahlbetonwänden gar nicht erst probiert. Dementsprechend hat es sich einen Namen in der Urban-Exploration-Szene gemacht und zieht regelmäßig Scharen von Fotografen, Sprayern und erlebnishungrigen Jugendlichen an. Auch die Film- TV- und Musikvideobranche hat das Gelände seit einigen Jahren auf dem Schirm, so wurden hier etwa Szenen von Monuments Men, Enemy at the Gates und erst vor kurzem vom Neflix-Hit Dark gedreht. Weitere Infos zu dem Ort als Filmkulisse gibt es hier.

Auf dem Gelände angekommen, wissen wir gar nicht, wo unsere Augen zuerst hinwandern sollen. Wir sind von den ersten Schritten an komplett überwältigt von den unfassbar großen Produktionshallen und den allseits zugänglichen Gebäuden, die das Gelände wie einen riesigen Abenteuerspielplatz wirken lassen. Es benötigt etwas Zeit, um sich zurechtzufinden; die überall verstreuten Graffiti und teilweise fragwürdigen Kunstobjekte (zum Zeitpunkt unseres Besuchs baumelten hier und da Kinderpuppen an den unmöglichsten Stellen in der Luft herum) geben aber gute Anhaltspunkte für eine erste Orientierung.

Bei einem Besuch des Chemiewerks Rüdersdorf sollte man neben einer Menge Zeit auch etwas Mut mitbringen, da die meiste Zeit über patrouillierende Sicherheitsleute das Gelände bewachen. Alternativ kann man auch einfach in den benachbarten Museumspark Rüdersdorf gehen, der einen Ausblick auf die Fabrik erlaubt und Infos über die Industriegeschichte der Region bereithält. Wir waren an diesem Samstagnachmittag bei weitem nicht die einzigen auf dem Areal, sodass etwas Spannung am Herumstromern verloren ging. Allein schon wegen der überwältigenden Aussichten von den Dächern der Hallen lohnt es sich, diesen Weg (siehe Map unten) in Kauf zu nehmen. Solch mächtige Lost Places sieht man wirklich nicht alle Tage.

Detailliertere Informationen über die Geschichte des Werks gibt es zum Beispiel auf der Seite von ruedersdorf.de.

Die 1877 fertiggestellte Schachtofenanlage liegt direkt neben dem Gelände des Chemiewerks und ist Teil des Museumsparks Rüdersdorf.

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